Rainer Tittelbach Der History-Krimi „Jack the Ripper – Eine Frau jagt einen Mörder“ mit dezenten Anleihen beim Gruselgenre wirkt wie seine Hauptdarstellerin insgesamt zu harmlos. Die Einbindung der Kinematographie in die Geschichte erweist sich zwar in Verbindung mit der Mythologisierung von Jack the Ripper und dessen gesellschaftlicher Funktion als gelungene Drehbuchidee, doch besonders spannend geraten die 100 Minuten nicht. Der Nervenkitzel bleibt zu sehr in den Konventionen eines frauenaffinen Primetime-Produkts stecken. So ehrenwert der Versuch, einen historischen Thriller zu erzählen, so stereotyp sind Dramaturgie & „Heldinnenreise“. Aber auch filmästhetisch und konzeptionell wirkt das Sat-1-Movie unausgegoren. Foto: Sat 1 / Algimantas Babravicius Very british durch die litauische Matsche. Wem kann Anna (Sonja Gerhardt) auf ihrer Jagd nach Jack the Ripper trauen? Dem engagierten Inspektor Frederick Abberline (Falk Hentschel), ihrem Vermieter und Arbeitgeber Samuel Harris (Nicholas Farrell) oder Jakobs bestem Freund und Kollegen David Cohen (Sabin Tambrea)? Whitechapel, 1888: Anna Kosminski (Sonja Gerhardt) sucht den Neuanfang in London. Doch was für ein Alptraum erwartet die junge Fotografin hier: die Mutter verstorben und ihr Bruder Jakob (Vladimir Burlakov) in einer Irrenanstalt! Grund: Er soll ein fünffacher Prostituiertenmörder sein, der sich Jack the Ripper nennt. Seinen Opfern schneidet er die Kehle durch, er verstümmelt sie und weidet sie aus. Zuletzt wurde die übel zugerichtete Leiche der Prostituierten Mary Jane Kelly in Jakobs Bett gefunden. Für die Polizei war er damit überführt. Anna erkennt, dass sie die einzige ist, die Jakob helfen kann – also taucht sie nach und nach in dessen privates Umfeld ein: Wie einst ihr Bruder findet sie eine Bleibe und Arbeit bei dem zwielichtigen Polizeifotografen Samuel Harris (Nicholas Farrel) und freundet sich mit David Cohen (Sabin Tambrea) an, der mit Jakob vor dessen Verhaftung an einem neuen Medium forschte – dem Bewegtbild. Bald gerät Anna selbst ins Visier des Killers und erhält unheimliche Todesdrohungen. Für Chief Inspector Ronald Briggs (Peter Gilbert Cotton) ist das nicht ausreichend, um Jakobs Unschuld zu beweisen. Auch die Polizei hat unzählige Briefe von Trittbrettfahrern bekommen – viele wollen offenbar etwas vom Ruhm des Schlitzers abkriegen. Während Briggs weiterhin abweisend ist, bietet ihr der junge Inspector Frederick Abberline (Falk Hentschel) Schutz und Hilfe an. Auch er glaubt, dass Jakob nicht der Ripper ist, und er befürchtet, dass sich der Richtige als nächstes Opfer Anna ausgeguckt haben könnte. Die ist darüber eher beglückt – und sie möchte den Köder geben. Foto: Sat 1 / Algimantas Babravicius Die Prosituierte Mary Jane Kelly (Funda Vanroy) ist das letzte Opfer von Jack the Ripper. Für Genre-Fans beginnt der Film recht verheißungsvoll. Doch es folgt die übliche Frauenkiste. Der Untertitel 'Eine Frau jagt einen Mörder' weist in die 90er Jahre. Die stereotype Dramaturgie und frauenaffine Gesamttonlage leider auch. Filmklassiker gibt es wie den berühmten Sand am Meer. Von Zeit zu Zeit werden sie dann mal neu verfilmt - so wie jetzt fürs Fernsehen mit einer schaurigen. Whitechapel, 1888: Die junge Fotografin Anna Kosminski (Sonja Gerhardt) sucht einen Neuanfang in London. Dort wird sie jedoch mit dem Tod ihrer Mutter konfrontiert. Zudem erfährt sie, dass ihr letzter lebender Verwandter, ihr Bruder Jakob (Vladimir Nurlakov), in eine Irrenanstalt eingewiesen wurde. Nach der „Wanderhuren“-Trilogie, den beiden „Hebammen“-Mystery-Movies, dem Western „In einem wilden Land“ und 2015 „Mordkommission Berlin 1“, dem Krimi, der den deutschen Vater der Kriminalkommissare ehrt, wagt sich Sat 1 mit seinem 2016er History-Event-Movie nun an einen anderen Mythos der Kriminalgeschichte: den Schlitzer von London. „Jack the Ripper – Eine Frau jagt einen Mörder“ sucht Anleihen beim historischen Gruselkrimi mit dezenten Blutrünstigkeiten. Für Fans des Genres ist der Untertitel der Haken – und der 20.15-Uhr-Termin, der einer FSF-Freigabe ab 12 Jahren gleichkommt. Denn wer ernsthaft die Geschichte von dem grausamen Prostituiertenmörder erzählen will – der muss in Abgründe blicken, den Schrecken physisch spürbar und die Gewalt ein gutes Stück sichtbar machen. Das alles aber funktioniert nicht mit dem Blick aufs frauenaffine Familienprogramm und die Primetime: Die letzten Verfilmungen des Stoffs, „From Hell“ (2001) mit Johnny Depp und die Serie „Whitechapel“ (seit 2009), sind denn auch entsprechend freigegeben ab 16 Jahren. Foto: Sat 1 / Algimantas Babravicius Szenenbild und farbliche Nachbearbeitung sind teilweise durchaus ansprechend. Dann aber reißen einen die künstlichen Outdoor-Szenen aus der Illusion. In dieser Szene klärt Chief Inspector Ronald Briggs (Peter Gilbert Cotton) die Deutsche auf über die Gräueltaten des Schlitzers. Alle Beweise sprechen gegen Annas Bruder. Dieses Dilemma sieht man dem Sat-1-Film 100 lange Minuten an. Eine Frau zur Heldin, zur Rächerin ihrer Geschlechtsgenossinnen – wenn auch ohne emanzipatorisches Bewusstsein – zu machen, ist keine schlechte Idee. Dass es aber wieder so ein junges Hascherl sein muss, ist zu viel Kalkül. Nach Alexandra Neldel, Josefine Preuß und Emilia Schüle soll es nun das neue Fräuleinwunder Sonja Gerhardt richten, nachdem dem Traum-Trio Mücke/Moretti/Traue letztes Jahr kein Quotenerfolg beschieden war. Doch so gut und passend besetzt sie in „Ku’damm 56“ auch war, so unpassend marschiert sie hier, die Röcke forsch gerafft und das Haar stets frisch onduliert, mit der immergleichen trotzigen Entschlossenheit durch die litauische Studio-Matsche. Dieses Mauerblümchen-Kontrastprogramm mit der ganzen melodramatisch überzogenen Bruder-Rettungsarie ist der falsche Gegenentwurf zu Jack the Ripper und Gerhardt außerdem die falsche Besetzung. So viel zur Grundkonzeption. Foto: Sat 1 / Algimantas Babravicius Melodramatisch. Anna (Sonja Gerhardt) verspricht ihrem Bruder Jakob (Vladimir Burlakov), seinen Unschuld zu beweisen und ihn aus der Irrenanstalt zu holen. Das Drehbuch stammt immerhin von einem der besten, allerdings auch fleißigsten deutschen Drehbuchautoren, Holger Karsten Schmidt. Ein Könner ist im leicht gebrochenen Genrefach. Mit zwei guten Ideen hat er den Stoff wesentlich bereichert: die aktive Einbindung der in den Kinderschuhen steckenden Kinematographie in die Geschichte erweist sich gerade in Verbindung mit der Mythologisierung von Jack the Ripper und dessen gesellschaftlicher Funktion, dem zweiten zentralen Anliegen Schmidts, als überaus gelungen. Diese beiden Ideen erhöhen den Schauwert und verdichten ein wenig den Subtext der ansonsten sehr schlichten Handlung, zur Dramaturgie tragen sie aber nur wenig bei. Dieses typische Eine-Frau-geht-ihren-Weg-Szenario, das kaum komplexer ist als die Selbstfindungsgeschichten der 00er Jahre, entspricht längst nicht mehr den heutigen Ansprüchen ans populäre Filmerzählen. Foto: Sat 1 / Algimantas Babravicius Nicht nur Jack the Ripper, auch anderes Gesindel hat es auf Anna abgesehen. Dass Schmidt die tragenden Nebenfiguren nicht weiter ausschmückt, hat einen guten Grund: Die Gefahr wäre, dass sich aus Annas Männerreigen der potenziellen Schlitzer einige zu früh verabschieden könnten, was der Spannung nicht gut tun würde. Ausnahmsweise hätte hier eine weitere „verdächtige“ Figur dem Suspense nicht geschadet. Die Spannungskonstruktion ist ohnehin ein Drahtseilakt, der sich nur mit einigen konventionellen Tricks und den üblichen zuschauerorientierten Gruselszenen über die 100 Minuten rettet. Vieles, was der Handlung an Nervenkitzel fehlt, holt er – irgendwo zwischen old fashioned Kammerspiel-Crime und Serienkiller-Trash – geballt im Finale nach. Von unterschiedlicher Qualität sind auch Look und Szenenbild: Je dunkler das Bild, je düsterer die Stimmung, umso atmosphärischer das Ganze. Hingegen verlässt einen bei den helleren Einstellungen die Illusion; kommen dann auch noch Totalen ins Spiel, beispielsweise Häuserfronten die bis in den Hintergrund verlaufen, sieht man nur noch die Ausstattung. Für Massenszenen gilt Ähnliches. Die Auflösung ist zumeist nicht kleinteilig genug, und so sieht es oft nach Studio aus, hat aber leider so gar nichts vom Vintage-Studio-Charme alter Hollywood-Filme. Je konzentrierter das Szenenbild, je enger die Einstellungsgrößen und je präsenter die Darsteller, umso ansehnlicher sind die Szenen für den Zuschauer. Nur leider ist dem steifen britischen Stil der besseren Leute und den Whitechapel-Klischeefiguren sehr wenig Physisches abzugewinnen. Fazit: So ehrenwert der Versuch, einen Krimi-Thriller im historischen Gewand zu erzählen und so clever die Bewegtbild-Idee, so stereotyp sind Dramaturgie & „Heldinnenreise“. Aber auch filmästhetisch, konzeptionell und besetzungstechnisch ist „Jack the Ripper – Eine Frau geht ihren Weg“ unausgegoren. Foto: Sat 1 / Algimantas Babravicius Die Verbindung von der in den Kinderschuhen steckenden Kinematographie mit der Mythologisierung von Jack the Ripper ist eine gute Idee. Filmfreak Cohen (Tambrea) Rainer Tittelbach arbeitet seit 30 Jahren als TV-Kritiker & Medienjournalist. Er ist Grimme-Juror & FSF-Prüfer. Seit 2009 betreibt er tittelbach.tv. Sie können den fernsehfilm-beobachter unterstützen: Werden Sie oder Sie oder kaufen Sie bei amazon, indem Sie von, vom amazon-Button oder von jedem beliebigen DVD-Cover dorthin gelangen. • Kaufen bei und tittelbach.tv unterstützen • o je, ein Winterloch! • • Bisher gab es eine Anzeigenflaute nur im Sommerloch. Nie hätte ich gedacht, dass es auch mal ein Winterloch geben würde. 2018 haben wir es. Zu viele TV-Filme sind durchschnittlich, dadurch ist das Anzeigen-Geschäft stark rückläufig. Mit über 1000 € in den roten Zahlen ist tittelbach.tv im Januar, im Dezember sah es kaum besser aus und auch das Februarprogramm verspricht kaum Besserung. Da wäre es schön, wenn die, die die Seite regelmäßig nutzen, mit in die Bresche springen könnten. Ich sage schon mal danke! • 'Tatort' kolossal •. 'Kästner & der kleine Dienstag' • 'Das Pubertier' ( / ), 'Zarah' ( / ) und 'Schuld – nach von Schirach' (Kritiken: + + + / ) Crime, Thrill, Krimidramen • 'Tatort – Der Irre Iwan' ( / ) • 'Tatort – Unter uns' ( / ) • 'Spuren des Bösen – Schande' ( / ) • 'München Mord – Wo bist du, Feigling?'
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March 2019
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